Am 28. Oktober startete das jährliche Kulturhistorische Seminar für junge Forscher:innen aus Russland und Deutschland. Das Seminar fand zum sechsten Mal vom 28. bis zum 29. Oktober statt.
Das Hauptziel des Kulturhistorischen Seminars ist die Bewahrung, Entwicklung und Popularisierung der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen, indem man die unterschiedlichen Generationen der Forscher:innen aus Russland und Deutschland dazu motiviert, wissenschaftliche Forschungen in diesen Bereichen zu betreiben. Das Thema des diesjährigen Seminars lautete „Kultur – Zivilgesellschaft – Wissenschaft: international“. Aufgrund der Beschränkungen durch die Pandemie fand es im Online-Format statt.
Ergebnisse des ersten Seminartags am 28. Oktober 2021
Begrüßungsworte
Olga Martens
Dr. Olga Martens, erste stellvertretende Vorsitzende des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur, sowie Kornelius Ens, M. A. und Leiter des Museums für russlanddeutsche Kulturgeschichte (Detmold), richteten ihre Begrüßungsworte an die Teilnehmer:innen.
Olga Martens bedankte sich bei den Vertreter:innen der wissenschaftlichen Gemeinschaft und den neuen Projektteilnehmer:innen für das beständige Interesse an der Kultur und Geschichte der Russlanddeutschen. Ihrer Meinung nach sei das Online-Format des Seminars innerhalb der russlanddeutschen Gemeinschaft in Russland und Deutschland momentan besonders gefragt.
„Ausgehend aus dem Forschungsstandpunkt ist es spannend, inwiefern die dritte Generation der Russlanddeutschen, die entweder nach Deutschland ausgesiedelt sind oder bereits in Deutschland geboren wurden, ihre Identität wahrnimmt. Und mir fällt folgende Tendenz auf, dass die jungen Leute, die heute in Deutschland leben, ein äußerst großes Interesse an der Heimat oder dem Land haben, wo einst ihre Eltern lebten. Sie erforschen die Geschichte und Kultur unseres Volkes. Dieses Phänomen ist wichtig für die Forschung. Vielleicht wird es uns gelingen, die Prozesse, die in Deutschland stattfinden, im Rahmen des Kulturhistorischen Seminars zu verstehen. In Russland ist dies leichter zu erforschen, denn dort sind wir eine nationale Minderheit, die fest in ihren Ursprüngen verwurzelt ist.“, bemerkt Olga Martens.
Kornelius Ens
Auch Kornelius Ens bedankte sich bei den Organisator:innen und Teilnehmer:innen des Seminars und wies auf die internationale Thematik des Projekts hin:
„Die Teilnehmer:innen stellen sich die wichtige Aufgabe, die Ergebnisse ihrer Forschungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es ist wichtig, dass auch ein solch wichtiges Thema, wie das der Deportation, angesprochen wird. Der Raum der Erinnerung schafft gleichzeitig auch einen Raum der Kommunikation. Weitere Strategien der Zusammenarbeit können auf den entstehenden Kommunikationsplattformen aufgebaut werden“.
Darüber hinaus unterstrich Kornelius Ens die Relevanz des Online-Formates des Seminars:
„Das Online-Format erschafft zusätzliche Möglichkeiten und führt zu einem noch stärkeren Gemeinschaftsgefühl. In einem solchen Format sehe ich eine große Zukunft für die Entwicklung des Kulturhistorischen Seminars.“
Laut den Expert:innen hilft das Kulturhistorische Seminar zu verstehen, wie wissenschaftliche Erkenntnisse über die Russlanddeutschen umgewandelt und in einem breiten Medienraum und der Öffentlichkeit präsentiert werden können sowie wie die Bedeutung der historischen Erinnerung im Zusammenhang mit dem 80. Jahrestag der Deportation der Sowjetdeutschen aufgezeigt werden kann.
Vorträge
Präsentation des Projekts „Schweigeminuten“ von Edwin Warkentin
Aktuelle Fragen zur Erinnerungskultur streifte in seinem Impulsvortrag Thema „Erinnern und Gedenken – aktuelle Aspekte der Erinnerungskultur im Zusammenhang mit dem 80. Jahrestag der Deportation der Deutschen in der Sowjetunion“ Leiter des Kulturreferats für Russlanddeutsche (Detmold) Edwin Warkentin, M.A.
An erster Stelle bedankte er sich bei Olga Martens für die Initiative und Durchführung des Kulturhistorischen Seminars, zu dessen Umsetzung sich jährlich neue wissenschaftliche Mitarbeiter:innen anschließen.
„Unter ‚Erinnerungskultur‘ verstehen wir die Formen der bewussten Erinnerung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse. In diesem Jahr haben zahlreiche Initiativen und Projekte gezeigt, was sich in der Erinnerungskultur der Russlanddeutschen ändert, was auch an neuen Formaten liegt. Während des Kulturhistorischen Seminars werden wir neue Wege kennenlernen, mit diesem Thema umzugehen.“, sagte er.
„Viele Forscher:innen werden ihre Digitalisierungserfahrung des Themas vorstellen, junge Autor:innen suchen ihren Weg, sich an die Vergangenheit zu erinnern, um das Leben mit Würde und Sinn zu füllen. Die Beiträge zum 80. Deportationsjahrestag waren abwechslungsreicher, facettenreicher aber auch kontroverser als in der Vergangenheit. Die Suche danach, die Erinnerungskultur zeitgemäß zu gestalten, während die Augenzeug:innen der historischen Ereignisse verschwinden, erlangt eine immer größere Bedeutung. Die kollektive historische Erinnerung ist eine Synthese aus Kultur, Wissenschaft und der Gesellschaft, die sich in der heutigen Zeit mit neuen Impulsen entwickelt. Aus diesem Grund haben wir diese drei Sphären zum Profil des Seminars gemacht“, bemerkte Edwin Warkentin.
Seiner Meinung nach helfen neue digitale Formate, um Erinnerungskultur kreativ zu gestalten. Als Beispiel präsentierte Edwin Warkentin den literarischen Videoblog „Schweigeminuten“, in dem gegenwärtige Autor:innen ihre Ansichten zu den Aspekten der Aufarbeitung der Folgen des Zweiten Weltkriegs im Bewusstsein der Menschen präsentierten. Die Autor:innen werfen Fragen zur Veränderung der Erinnerungskultur der Russlanddeutschen, der Beziehung der Gesellschaft zum gegebenen Thema, zur individuellen Wahrnehmung der Zeitgenoss:innen der historischen Ereignisse und zur Integration des Themas in die Mehrheitskultur auf. Solche Projekte helfen, mentale Distanzen zu überbrücken, die kulturelle transnationale Identität zu erklären und mögliche Krisen des historischen Bewusstseins zu überwinden. Der Vortragende ist überzeugt davon, dass dieses zentrale Motiv der Kollektiverinnerung der Mehrheitsgesellschaft präsentiert, eine aufklärende Arbeit geleistet und aktuelle Formate und Instrumente innerhalb der Kultursphäre genutzt werden müssen.
„Die bewusste und professionelle Gestaltung der Erinnerungskultur durch Interessensvertretungen und Institutionen ist für die Identität und Selbstwertgefühl der betroffenen Individuen innerhalb der Gesellschaft wichtig. Wir müssen nach neuen möglichen Partnerinstitutionen aus den Bereichen der Forschung, Kultur und Zivilgesellschaft suchen, so kann sich aus dem „Sitzen zwischen zwei Stühlen“ eine sichere Stellung in öffentlichen Debatten zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft entwickeln.“, fügte er hinzu.
Präsentation des Dokumentarfilms „Nächster Halt“
Der Dokumentarfilm über die Nachfahren der deportierten Deutschen „Nächster Halt“ wurde von der Regisseurin Ludmilla Russakowa und der Produzentin und Mitarbeiterin des Instituts für ethnokulturelle Bildung – BiZ Olga Gordijtschuk vorgestellt. Die Filmemacherinnen erzählten in ihrem Vortrag „Dokumentarfilm als moderne Form der Darstellung der historischen Erinnerung“ über die Besonderheiten dieses Genres, zeigten den Unterschied zwischen Chronik und dokumentarischer Beobachtung und erläuterten die Universalität des Themas „Deportation“ zur Bewältigung historischer Traumata. Der Film wurde in den Regionen Krasnojarsk und Altai, im Gebiet Omsk sowie in Moskau und Hamburg gedreht. Die Filmheld:innen waren drei Generationen der Russlanddeutschen.
„Wir hatten eine wichtige Aufgabe: die Geschichte der Russlanddeutschen in der heutigen Zeit zu zeigen. Vor allem das „Heute“ formt die Zukunft, das ebenfalls ein Teil der Geschichte werden wird. Das Format des Dokumentarfilms zeigt eine Schnittstelle der Gegenwart, während er gleichzeitig die Erfahrung der Nachkommen präsentiert.
„In unserem Film gibt es keine Autor:innenbewertungen, aber Bewertungen der Protagonist:innen, die von ihrer Lebenserfahrung Fremden erzählen und sich ihnen öffnen. Diese Bewertung erlaubt den Zuschauer:innen, sich Teil einer breiten Gemeinschaft zu fühlen. Das ist mehr, als eine historische Chronik. Hier sieht man die Menschen, kann ihren Schmerz in der Form des Versuchs, die Kultur zu erhalten, sehen. Manche Protagonist:innen lebten eine Zeit lang in Deutschland und kehrten wieder nach Russland zurück. Die Zuschauer:innen werden ihre Befürchtungen (Was passiert, wenn ich umziehe?) ablegen können, nachdem sie sich diese Geschichten angeschaut haben. In dem Film sind es echte Menschen, die berichten, was sehr wichtig ist“, erzählt Ludmilla Russakowa.
Laut Olga Gordijtschuk sei es gelungen, in dem Film die unterschiedlichen Möglichkeiten zur Bewältigung von historischen Traumata zu zeigen: der Besuch von Orten, wo einst ihre Vorfahren lebten; Besuch von Therapeut:innen; Inszenierungen auf der Basis der Erinnerungen von Deportierten usw. Die Filmheld:innen erzählten, wie sie die Geschichte ihrer Familie erfuhren und wie sie mit den schlimmen Erinnerungen zurechtkamen, die ihnen erzählt wurden. Gordijtschuk ist überzeugt, dass solche Traumata über Generationen hinweg weitergegeben werden.
Der Regisseur Alexej Getmann (Köln) referierte über das Format der Webdokumentationen als ein Vermittlungsformat einer nichtlinearen Narration am Beispiel des aktuell entstehenden Projektes ‚Lost history – shared memories‘. Deportationen in der Sowjetunion aus der russlanddeutsche und tschetschenische Perspektive der Nachfolgegenerationen“. Webdokumentationen bieten die Möglichkeit mehrere Medien wie Video, Bild und Text zu verwenden. Die Möglichkeit den Rezipienten sich unabhängig vom Erzählstrang navigieren zu lassen, bietet Chancen Motive und Episoden in unterschiedlichen und neuen Kontexten darzustellen. Das erweitert den Rezeptionshorizont und schafft neue thematische Verknüpfungen.
„Wenn wir ein derart entscheidendes Thema der breiten Öffentlichkeit präsentieren möchten, müssen wir mit zeitgemäßen Instrumenten arbeiten. Unser Projekt über die Russlanddeutschen und Tschetschen:innen erarbeiten wir folgendermaßen: geht es um Dokumente und Gesetze, nutzen wir Textmaterialien. Wollen die Zuschauer:innen sich in die Materie vertiefen, können sie es über einen angefügten Link tun. Auf diese Weise besteht unser Publikum aus Menschen, die vertieft in das Thema sind und aus solchen, die nur ein oberflächliches Interesse daran haben. Der historische Stoff bekommt Belege, Struktur und Anschlüsse, wodurch er bildlicher wird. In diesem Format können sich die Zuschauer:innen und Zuhörer:innen immer in das Thema vertiefen, was im Radio oder Fernsehen unmöglich ist. Das ist zweifelslos ein Vorteil des Web-Formats“, berichtete der Filmemacher.
Juri Diez
Der Theatermacher Juri Diez (München) stellte sein Projekt „IM FLUSS DER ZEIT – Eine Rauminstallation“ anlässlich des 80. Jahrestages der Deportation der Russlanddeutschen auf der Studiobühne des Instituts für Theaterwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München vor.
„Ich habe mich schon immer für das Thema der alternativen Darstellung der russlanddeutschen Geschichte interessiert. Wie können wir es schaffen, dass die Menschen historische Ereignisse selbst erleben und in die Geschichte eintauchen können? Dies ist uns bei dem neuen Projekt gelungen. Es gibt Bilder, Tonaufnahmen und Videos. Wir haben es so eingerichtet, dass eine Person, die von Raum zu Raum geht, in das Haus eintaucht, die Stimmen der Menschen hört und die Wärme spürt. In dem Raum mit dem Thema der Deportation spürt man die Kälte und das Geratter der Räder. Viele junge Russlanddeutsche, die in Deutschland leben, stellen sich die Fragen: Wer bin ich? Und wo ist meine Heimat? Das ist etwas, was wir oft mitbekommen. Am 28. August kamen viele Menschen zur Eröffnung der Ausstellung, darunter auch junge Leute, was zeigt, dass sie sich für das Thema interessieren“, sagt Juri Diez.
Daniel Gebel, M. A. Mitarbeiter im Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (Oldenburg), sprach über die Arbeit des Forschungsverbundes „Ambivalenzen des Sowjetischen: Diasporanationalitäten zwischen kollektiven Diskriminierungserfahrungen und individueller Normalisierung, 1953-2023“. In diesem Verbund sollen zukünftig Kompetenzen unterschiedlicher wissenschaftlicher Institutionen gebündelt werden, die sich mit der Erforschung postsowjetischer Migration in Deutschland befassen. Schwerpunkte bilden Themen der russlanddeutschen Aussiedler und der jüdischen Kontengentflüchtlinge. Diese komparatistische Ansatz soll ebenso neue Forschungskontexte schaffen, um diese Themen akademisch zukunftsträchtig aufzuarbeiten.
Dr. Antje Johanning (Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, Marburg) stellte das Onlineportal „Copernico „Geschichte und kulturelles Erbe im östlichen Europa“ vor.
„Wir stellten uns die Aufgabe, die Information zugänglich zu machen, denn es suchen tatsächlich viele nach ihr. Das Portal soll in erster Hinsicht für die Nutzer:innen einfach zu bedienen sein, es ist eine Suche mithilfe von Schlüsselwörtern möglich. In den einzelnen Sparten stellten wir Geschichtszeitschriften, die Musikkultur, historische Dokumente, thematische Interviews, wissenschaftliche Artikel und vieles andere Dinge vor“, erklärt Antje Johanning. Das Portal des Herder Institutes geht im November 2021 an Start.
Tatjana Schmalz
Tatjana Schmalz, Doktorandin an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), erzählte über den Einsatz digitaler Formate in der Forschungsarbeit. In ihrem Vortrag „Forschung durch Digitalisierung: Eine Open Source Online-Bibliographie“ stellte sie ihre Forschungserfahrung vor: eine Datenbank für Bibliographien zur Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen.
Laut ihrem Vortag, ist es wichtig, eine zentrale Datenbank zu erschaffen, in der die komplette Information gesammelt sein wird, die den Thema zugeordnet wird. Bei ihrem bisher aus eigener Initiative geführten Projekt sammelt sie insbesondre aktuelle Beiträge zur Kultur und Geschichte der Russlanddeutschen. Seit einigen Jahren sammelt die Forscherin jegliche im Internet zugängliche Information über die Russlanddeutschen, strukturiert sie, verteilt sie über die jeweiligen Link-Tabellen und gibt gern allen Interessent:innen Auskunft darüber. Tatjana Schmalz ist überzeugt, dass ein solches Projekt zum Erhalt der historischen Erinnerung beiträgt.
Elena Schlegel, Doktorandin der Staatlichen Universität Fjodor Michailowitsch Dostojewski (Omsk), stellte ihr Projekt „Sprache als Teil der Identität der Deutschen in Russland und Kasachstan – ein Interviewprojekt“ vor. Das Projekt reflektiert zeitgenössische sprachliche und ethnokulturelle Prozesse der Deutschen in Russland und Kasachstan. An dem Projekt nahmen 1000 Personen teil, die sich selbst als Deutsche bezeichnen. Sie beantworteten 73 Fragen, von denen sich 20 auf die Sprache bezogen. Die Ergebnisse der umfangreichen Forschungsarbeit werden in einem wissenschaftlichen Artikel veröffentlicht.
Ekaterina Liebert
Ekaterina Liebert, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Philologie der Sibirischen Abteilung der Akademie der Wissenschaften, und Sara Töws, Lehrerin der Schule in Neudatschino (Gebiet Nowosibirsk), sprachen über die Erforschung und Bewahrung der Dialekte der Russlanddeutschen. Sie berichteten über ihre Erfahrungen beim Erlernen des Dialekts als Muttersprache am Beispiel des Kindersprachklubs auf „Plautdietsch“. Es ist bekannt, dass die Mundart über keinen offiziellen Sprachstatus verfügt. Die Muttersprachler:innen leben über die ganze Welt verteilt, einschließlich Sibirien: in den Regionen Omsk und Altaj. In Neudatschino leben über 140 Sprecher:innen, unter denen es auch Jugendliche und Kinder gibt. Darüber hinaus unterstrich Ekaterina Liebert die drohende Auslöschung des Dialektes, der über einen niedrigen Muttersprachenstatus unter den Jugendlichen verfügt, keine Unterstützung von der Seite der Regierung erlebt und dessen Sprecher:innenanzahl von Jahr zu Jahr schrumpft. Ihrem Vortrag zufolge gibt es in der Linguistik eine erfolgreiche Sprachrettungserfahrung durch die Methode der „Sprach Nester“ durch die Erschaffung von Komminikationsklubs und Kreisen.
Laut Sara Töws wird der Dialekt im Kindersprachklub mündlich erlernt, da er keine offizielle Schriftform hat. Die Kinder spielen, malen und machen Rollenspiele. Diese Art von Erfahrung kann in den Orten angewendet werden, in denen es noch Mundartsprecher:innen gibt.
Die Teilnehmer:innen des Seminars waren sich einig, dass die Vorträge dazu beitrugen, die Bedeutung des Themas der historischen Erinnerung in Russland und Deutschland im Kontext des 80. Jahrestages der Deportation zu bewerten. Die Forscher:innen sprachen auch über die Notwendigkeit eines weiteren Dialogs und betonten die Bedeutung solcher Veranstaltungen.
Im Rahmen des Seminars wurde ein informatives Online-Quiz zur Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen durchgeführt, dessen erste 5 Gewinner:innen von dem Goethe-Institut in Moskau ein Stipendium für einen Deutschkurs im Jahr 2022 erhalten werden.
Ergebnisse des zweiten Seminartags am 29. Oktober 2021
Am 29. Oktober fand der zweite und letzte Tag des jährlichen Kulturhistorischen Seminars zum Thema „Kultur – Zivilgesellschaft – Wissenschaft: international“ statt, an dem Forscher:innen und Expert:innen aus Russland und Deutschland teilnahmen.
Im Rahmen der Diskussion erörterten die Teilnehmer:innen aktuelle Probleme bei der Erforschung der historischen Vergangenheit Russlands und sprachen darüber, welche neuen Formate genutzt werden könnten, um das kulturelle Erbe der Russlanddeutschen zu popularisieren.
Vortrag von Arkadi German
Der Impulsvortrag „Deutsche der UdSSR in den ersten Kriegsmonaten. Deportation und deren Folgen“ von Arkadi German (Saratow), Doktor der historischen Wissenschaften und Professor an der Staatlichen Universität Saratow, war dem Thema der Sowjetdeutschen während der ersten Kriegsmonate gewidmet. Dieser stellte fest, dass sich das Schicksal der Deutschen in den ersten Wochen und Monaten des Krieges in den verschiedenen Regionen des Landes unterschiedlich entwickelte. Einige befanden sich an der Heimatfront und waren in den nationalen Kampf zur Abwehr der Aggression eingebunden, und andere befanden sich im Kriegsgebiet oder sogar unter Besatzung.
„Seit dem ersten Kriegstag wurde die Mobilisierung in der ASSR der Wolgadeutschen losgestoßen, allerdings fingen auch „defätistische“ Aussagen und Arreste der Zivilbevölkerung an, die verdächtigt wurde, Spionage zu betreiben. Nach erforschten Daten ist es bekannt, dass es keine profaschistischen deutschen Gruppierungen in der Wolga-Saratov-Region gab.“
Der Geschichtsprofessor unterstrich die wichtige Rolle der Wolgadeutschen innerhalb der Getreidebeschaffung, der Munitionsproduktion, der Frontversorgung mit Lebensmitteln, der Teilnahme im Volksaufgebot und dem Fundraising einer Vielzahl von Ressourcen, die an die Front gingen.
„Mit dem Ausbruch des Krieges und insbesondere nach den ersten schweren Niederlagen wurde das Bild einer ‚fünften Kolonne‘ in der UdSSR in den Köpfen der sowjetischen Führung immer realer und bedrohlicher. Es begann die Deportation der Sowjetdeutschen. Es handelte sich um eine für den Stalinismus typische Rückversicherungsmaßnahme, die unter dem Standpunkt der strategischen Interessen gerechtfertigt schien. Gleichzeitig wurden die unvermeidlichen negativen Folgen für das Schicksal Tausender Menschen nicht berücksichtigt.“, so German.
Am 26. August 1941 wurde ein streng geheimer Beschluss gefasst, nach dem ausnahmslos alle Deutschen der „Umsiedlung“ nach Sibirien und Kasachstan unterlagen. Den Anschein von Legalität der gigantischen Repressionsmaßnahme gab offiziell das Dekret vom 28. August. Die Regierung zog es vor, die wahren Gründe für die Umsiedlung mithilfe von erdachten zu verstecken, wie aus den ersten Absätzen des Dekrets mit absurden, unbegründeten Anschuldigungen gegen Hunderttausende Bürger der Sowjetunion – den Wolgadeutschen – hervorgeht.“, sagt Arkadi German.
Nicht nur die Deportation an sich, sondern die Propaganda, welche die Russlanddeutschen als Volksverräter brandmarkten, hatten nach Ansicht des Historikers die schwerwiegendsten Folgen für sie und machten sie für viele Jahre zu Ausgestoßenen in der sowjetischen Gesellschaft.
Darüber hinaus machte der Geschichtsprofessor auf die Zweitdeportation aufmerksam – die Umverteilung der „Arbeitsressourcen“ innerhalb der Regionen und Gegenden. In diesem Rahmen wurden 15 Tausend Menschen aus der Region Novosibirsk in den Norden, den Narymskij Bezirk, für die Arbeit in der fischverarbeitenden Industrie umgesiedelt.
Arkadi German ist überzeugt, dass die Deportation eine inadäquate Rückversicherung des Stalinregimes war und zu einer grundlegenden Veränderung der Stellung der deutschen Bevölkerung innerhalb der Sowjetunion sowie der geografischen Umsiedlungsveränderung der Deutschen führte.
Vortrag von Natalia Rostislavleva
Natalia Rostislavleva (Moskau), Professorin und Doktorin der historischen Wissenschaften an der Russischen Staatlichen geisteswissenschaftlichen Universität, sprach in ihrem Vortrag „Russlanddeutsche im Fokus junger Forscher:innen“ über die Forschung junger Wissenschaftler:innen.
„Die historische Erinnerung hat unterschiedliche Schwerpunkte und somit haben wir uns auf die Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen konzentriert. Wir nutzen den Raum des Dialogs, binden die jungen Wissenschaftler:innen ein und betreiben interdisziplinäre Forschung. Die Idee, die vor etwa sechs Jahren entstand, wurde vom Institut für ethnokulturelle Bildung – BiZ und der Kulturabteilung der Deutschen Botschaft in Moskau unterstützt und verwirklichte sich in Wettbewerben für studentische Forschungsprojekte“, sagt die Historikerin.
Es hat bereits vier solcher Wettbewerbe gegeben. Im Laufe der Jahre hat sich das Projekt von einem regionalen zu einem internationalen entwickelt.
Abschließend bemerkte Natalia Rostislavleva, dass junge Wissenschaftler:innen ein stetiges Interesse zum Erforschen der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen zeigen, ihre Projelte einen interdisziplinären Charakter haben und der Wettbewerb der wissenschaftlichen Studierenden- und Aspirant:innenprojekte ein Impuls für ein nun regelmäßig stattfindendes Seminar wurde.
Die Gewinnerin eines dieser Wettbewerbe war Alfia Magaramova (Moskau), Studentin des Moskauer Staatlichen Instituts für Internationale Beziehungen, die auf dem Seminar einen Vortrag mit dem Titel „Besonderheiten der Mikrogeschichte im Bereich der Russlanddeutschen: das widersprüchliche Familienschicksal von Gottlieb Kirsche“ hielt.
Der Vortrag von Arsenij Mineev (Moskau), Masterstudent an der Staatlichen Universität Moskau für Geodäsie und Kartographie, widmete sich den geografischen Besonderheiten des Wohnraumes der Russlanddeutschen. Arsenij Mineev stellte den praktischen Teil der Arbeit vor und präsentierte die von ihm erstellten Karten, welche die Anzahl der Deutschen in Südsibirien und Nordkasachstan sowie den Anteil der Deutschen an der Gesamtbevölkerung zeigen.
Vortrag von Daria Khrushcheva
Dr. Daria Khrushcheva (Bochum) stellte in ihrem Vortrag „Osteuropastudien (mit integriertem Praxissemester)“ den Masterstudiengang der Ruhr-Universität in Kooperation mit dem Osteuropakolleg Nordrhein-Westfalen vor.
„Der Masterstudiengang beinhaltet ein Praxissemester, das die Möglichkeit bietet, in Museen, Archiven, Bibliotheken, Kulturstiftungen und -zentren zu hospitieren. Den Studierenden wird eine breite Palette von Möglichkeiten geboten und sie können ihr eigenes Projekt entwickeln oder an einem bereits laufenden Projekt teilnehmen. Die Masterstudierenden erwerben Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Ressourcen und arbeiten an der Bewahrung der historischen Erinnerung“, sagt Daria Khrushcheva.
Darüber hinaus stellte Daria Khrushcheva das Projekt von Katharina Saprygin (Bochum), M. A. und Mitarbeiterin der Martin-Opitz-Bibliothek in der Ruhr-Universität, vor, welches das Thema „Russlanddeutsche. Die Zeiten des Umbruchs 1917-1991“ hatte und in der Form einer digitalen Ausstellung erarbeitet wurde.
Vortrag von Jan Pöhlking
Jan Pöhlking (Bochum) absolviert derzeit einen Masterstudiengang an der Ruhr-Universität Bochum. In dem Seminar präsentierte er die Online-Dokumentation „Auch wir treten aus unseren Rollen heraus. Das Deutsche Schauspieltheater in Temirtau und die Deutschen in der Sowjetunion zwischen Bleiben und Gehen“.
Das Interesse des jungen Forschers an der russlanddeutschen Kultur ergab sich aus Gesprächen mit Freund:innen und Bekannt:innen mit russlanddeutscher Herkunft. Darüber hinaus bemerkte er, die Geschichte der Russlanddeutschen sei sehr facettenreich, aber in der deutschen Makrogeschichte nur unzureichend vertreten. Er sei der Meinung, dass die Geschichte dieser Bevölkerungsgruppe, die teilweise außerhalb Deutschlands stattfand, in die Gesamtgeschichte des Landes integriert werden sollte.
Jan Pöhlking berichtete von der Entstehung des deutschen Schauspieltheaters in Temirtau, das von großer Bedeutung für die Wiederbelebung der kulturellen Identität der Russlanddeutschen ist. Dass die deutsche Sprache eine Bühnensprache wurde, ist eine bemerkenswerte Tatsache in der Kultur dieser Minderheit.
„Die Webdokumentation ist eine Möglichkeit, der breiten Zuhörerschaft von der Volkskultur mitzuteilen. Der Film zeigt nicht nur die Besonderheiten der deutschen Identität, sondern spiegelt auch das Thema der Volksdeportation wider. Das deutsche Theater weckte das Interesse an der Kultur und Sprache und sorgte für eine Wiederbelebung der gemeinsamen Identität.“
„Ich wählte Motive aus und digitalisierte die Materialien, die die Grundlage des Films ausmachen. Wir sammelten Plakate und Zeitungsausschnitte und nahmen Interviews für den Film auf. Ich freue mich, dass ich mich diesem Projekt beteiligen konnte. Es ist spannend, an der Entwicklung eines Produkts mitzuwirken, das vom öffentlichen Interesse ist. Dieses Thema bereichert mich als Geschichtsstudenten und hilft mir, Soft Skills zu erlangen, um die Geschichte zu popularisieren“, erklärt der Forscher.
Vortrag von Tatjana Ilarionowa
Das aktuelle Problem der Geschichtsberichterstattung im Internet wurde von Tatjana Ilarionowa (Moskau), Doktor der philosophischen Wissenschaften, Professorin an der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und öffentliche Verwaltung beim Präsidenten der Russischen Föderation, in einem Vortrag behandelt.
„Die Geschichte ist ein leistungsstarker Faktor für eine Einung der Russlanddeutschen. Über eine lange Zeit war die Geschichte des Volkes nicht nur für die Deutschen selbst tabuisiert, sondern auch für die breite Öffentlichkeit. Heute wird das Interesse größer, die Wissenschaftler:innen möchten die vielen weißen Flecken innerhalb der Geschichte schließen. Internetseiten zu den Russlanddeutschen demonstrieren das Engagement der Menschen im (Vor-)Rentenalter, in dessen Rahmen es viele Laienhistoriker:innen gibt, die aus ihrer eigenen Erfahrung wissen, was eine Deportation und das Leben in einer Sondersiedlung ist“, sagt die Historikerin.
Dem Votrag von Tatjana Ilarionowa nach, finden sich solche Menschen gut im Internet zurecht und eignen sich neue Informationstechnologien an. Viele bekannte Seiten über die Russlanddeutschen sind von eben solchen Laienhistoriker:innen erschaffen worden. Darüber hinaus bemerkte die Historikerin, dass die Zusammensetzung der Internationalen Vereinigung der Erforscher:innen der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen nicht nur aus professionellen Wissenschaftler:innen, sondern auch aus denen bestünde, die sich „in ihrer Freizeit“ mit Geschichte beschäftigen würden.
„Es ist wichtig, dass sich am Gedenktag – dem 80. Jahrestag der Deportation – eine große Anzahl von Autor:innen auf Websites, die auf Geschichtsberichterstattung spezialisiert sind, auf Websites von Russlanddeutschen und auf Websites führender föderaler, regionaler und lokaler Massenmedien gemeldet haben.“
„Auch in den sozialen Medien ist das Interesse an der Geschichte groß und auf Facebook und Instagram herrscht rege Aktivität. Viele haben eine neue Plattform auf YouTube für sich entdeckt, darunter auch das Institut für ethnokulturelle Bildung – BiZ, das professionelle Videos zur Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen produziert. Solche Mittel tragen dazu bei, das kulturelle und historische Erbe des Volkes zu popularisieren“, sagt Tatjana Ilarionowa.
Die Geschichtsprofessorin unterstreicht, dass die Präsenz der Laienhistoriker:innen im Internet das Interesse der professionellen Historiker:innen an Themen weckt, die die Amateur:innen aufwerfen. „Nicht nur die Laien folgen den Profis, auch die Profis können sich häufig von Laien-Ressourcen inspirieren lassen“, schloss Tatjana Ilarionowa ab.
Vortrag von Tamina Kutscher
Tamina Kutscher (Hamburg), M. A. und Chefredakteurin des Portals dekoder.org, stellte das gemeinsame Projekt mit dem Nordost-Institut „Onlinedossier: Russlanddeutsches Diarama“ vor, in dem gemeinsam mit Wissenschaftler:innen von Journalis:innen und Kreativen üner unterschiedliche Aspekte rund um Russlanddeutsche Berichtet wird. Als Teil des Gesamtprojektes „Specials“ wurde es in diesem Jahr mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet.
Vortrag von Ira Peter
Am Beispiel von „Steppenkinder. Der Aussiedler Podcast“ zeigte Ira Peter (Mannheim), M. A., Autorin und Journalistin, wie der Podcast als Methode zur Popularisierung von Kultur und Geschichte genutzt werden kann. Laut Ira Peter sind die Besucher:innen des Podcasts Menschen, die persönliche Geschichten erzählen, die beim Projektpublikum beliebt sind. Durch die Beteiligung von Expert:innen am Projekt, wird ein wissenschaftsbasierter Content in einer für alle zugänglichen Sprache angeboten und freut sich dadurch eine hohen Beliebtheit unter den Zuhör:innen.
Vortrag von Anna Blinowa
Anna Blinowa (Omsk), Kandidatin der Historischen Wissenschaften und Mitarbeiterin am Institut für Archäologie und Ethnographie der Sibirischen Abteilung der Russischen Akademie der Wissenschaften, sprach über die Nutzung von Museen als Ressource zur Popularisierung der Geschichte.
„Die Digitalisierung musealer Sammlungen ist ein beliebter Weg, das kulturelle Erbe der Russlanddeutschen zu popularisieren. Diesem Thema sind viele Vorträge des Kultur-Historischen Seminars gewidmet. Meiner Meinung nach ist die Digitalisierung der erste Schritt auf dem Weg der Erstellung eines Inhaltes, der das Erhaltungsfundament des kollektiven Kulturerbes der Russlanddeutschen, einer einheitlichen Basis dieses Erbes und den Zugang zu diesem unikalen Volkserbe ausmacht, das in verschiedensten Regionen des Landes und über die Grenzen hinaus lebt“, sagt Anna Blinowa.
Die Forscherin berichtete von dem erschaffenen virtuellen Museum der Russlanddeutschen und präsentierte die Erfahrung der Erschaffung einer Übersicht über museale Sammlungen in der Omsk Region. Darüber hinaus erzählte sie über die Erschaffung virtueller Exkursionen in die deutschen Dörfer der Altaj Region.
„Durch die Organisation von Ausstellungen und Veranstaltungen zur Vermittlung des traditionellen Handwerks der Russlanddeutschen wird eine umfangreiche Bildungsarbeit geleistet. Die Interaktion mit den Besucher:innen spielt eine wichtige Rolle bei der Lebendigkeit der Ausstellung. In vielen Museen sind die Besucher:innen eingeladen, Wäsche mit einem Mangelbrett und einer Rolle zu bügeln, Butter aufzuschlagen, Eimer auf einem Tragjoch zu tragen, Nationalgerichte zu probieren und bei der Abnahme eines Brautkranzes bei einer Hochzeit mitzuwirken“, sagt die Forscherin.
Die Geschichte der Wolgadeutschen ist im multimedialen Park der Geschichte „Russland – meine Geschichte“ in Wolgograd zu sehen. Ludmilla Falaleeva (Wolgograd), Mitarbeiterin des Parks, erzählte in ihrem Vortrag „Geschichte der Wolgadeutschen im regionalen Kontext des Wolgograder Parks der Geschichte“ über die Besonderheiten der Organisation der Ausstellung mit einer regionalen Komponente in der Exposition eines großen gesamtrussischen Projekts.
Vortrag von Nico Wiethof
„(re-)searching identity – escape game im Museum“ lautet der Titel des Projekts von Nico Wiethof (Detmold), M. A. und Mitarbeiter des Museums für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold. Am Beispiel des aktuell entstehenden Escape-Games für das Museum in Detmold, das auf der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen basiert, zeigte der Forscher die Bedeutung des Gamification-Prozesses für die Popularisierung des kulturellen und historischen Erbes des Volkes. Diese Angebote sollen das Programm des klassischen Museums erweitern und einen möglichst einfachen und unterhaltsamen Einstieg in historische Themen bieten. Das Projekt wird in der ersten Hälfte 2022 starten.
Hartmut Koschyk
Das Projekt „Humboldt. Was die Welt im Innersten zusammenhält“, das 2019 anlässlich des 250. Geburtstages des deutschen Wissenschaftlers und des 190. Jahrestages seiner Reise durch Russland entstanden ist, wurde von der Schauspielerin, Regisseurin und Professorin für Schauspiel an der Universität von Florida Monika Gossmann und dem Vorsitzenden des Alexander-von-Humboldt-Kulturforums Schloss Goldkronach e.V. und dem Vorsitzenden des Rates der Stiftung „Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland“ Hartmut Koschyk, vorgestellt.
„In der Inszenierung ist es gelungen, die Biografie Alexander von Humboldts zu zeigen, sein schweres Verhältnis zu seinem Bruder zu reflektieren und die Atmosphäre seiner Beziehung zu Schiller und Goethe zu vermitteln. All dies wurde in einer einzigen Aufführung zusammenfassend dargestellt. In dem jetzt erschienenen Buch kann man das Drehbuch der Inszenierung in zwei Sprachen lesen und die Entstehungsgeschichte der Aufführung mit Teilnahme von Schauspieler:innen aus Russland und Deutschland erfahren“, sagt Hartmut Koschyk.
Monika Gossmann
Dem Vortrag der Regisseurin folgend, funktioniert die Wissenschaft anders als die Kunst. Das, was den Wissenschaftler:innen wichtig sei, sei es nicht gleichzeitig für die Menschen der Kunst.
„Ich bin eine Befürworterin dessen, dass man an den Fakten festhalten sollte und in die Geschichte keine neuen Tatsachen hineininterpretieren sollte. Eine Theateraufführung darf nicht langweilig sein. Sie muss Emotionen wecken, wozu die Wissenschaft nicht immer imstande ist“, sagt die Regisseurin der Inszenierung Monika Gossmann. „Wir hatten die Aufgabe, Alexander von Humboldt als Person vorzustellen. Es war uns wichtig, die Beweggründe für seine Handlungen zu zeigen und seine innere Welt widerzuspiegeln“.
Die Regisseurin erzählte auch von ihren Ideen, einen Film über die Russlanddeutschen zu drehen. Laut Monika Gossmann birgt die Idee, die Geschichten nationaler Minderheiten zu erzählen, großes Potenzial.
„Das ist eine unendliche Geschichte. Es ist wichtig, auch die heutige Generation in Erzählung miteinzuschließen. Sollte es uns gelingen, die Verbindung der vergangenen Generation mit der gegenwärtigen aufzuzeigen, wird das ein Wendepunkt sein, der die Geschichte universell macht. Die Tragödie des Volkes und sein Schmerz sollen ein Teil der Geschichte, aber nicht zu seinem Schlüsselpunkt werden. Es wäre spannend, die Geschichte von einer anderen Sichtweise zu betrachten und über die Gegenwart zu erzählen. Ich habe die Möglichkeit, die Qualifikation in Hollywood zu steigern und die Unterstützung einiger Partner:innen in Anspruch zu nehmen. Und ich habe Interesse an diesem Thema, die man in der Filmkunst entfalten könnte“, bemerkte die Regisseurin.
Die Vertreter:innen des Jugendrings der Russlanddeutschen Nelli Artes und Alexej Buller (Ufa, Tjumen) sprachen über die Nutzung neuer Formate zur Erforschung der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen. Sie stellten das Projekt „Moderne Exkursionsformate an deutschen Orten in Russland“ vor.
Vortrag von Irina Skwortzowa
Irina Skwortzowa, Vertreterin des Jugendrings der Russlanddeutschen in Omsk, berichtete über das kulinarische Projekt „Daheim ist Dahoom“.
Edwin Warkentin (Detmold), Leiter des Kulturreferats für Russlanddeutsche und M. A., resümierte, dass das Potenzial digitaler Formate derzeit noch nicht vollständig ausgenutzt werde. „Wir haben die Möglichkeit, digitale Tools effektiver zu nutzen, um die Herausforderungen der Popularisierung des kulturellen und historischen Erbes der Russlanddeutschen zu meistern“, betonte Edwin Warkentin. Es sei auch zukunftsweisend, die Kompetenzen aus den beteiligten Sphären der Wissenschaft, Zivilgesellschaft und der Kultur für eine Professionalisierung der Beiträge zur Erinnerungskultur stärker zu bündeln und die transnationalen Möglichkeiten zu nutzen.
Zum Abschluss des Kulturhistorischen Seminars merkte Olga Martens, erste Stellvertretende Vorsitzende des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur, an, dass die Gemeinschaft der Russlanddeutschen sich gegenwärtig auf einem hohen Niveau der Kultur- und Geschichtsforschung befindet.
„Unsere Geschichte sammelt sich nicht nur an, sondern erneuert sich auch. Diese für die Forschung spannende Frage könnte eine Schüsselrolle in der Entwicklung einer Zusammenarbeit zwischen den deutschen und russischen Universitäten erhalten“, unterstrich Olga Martens.
Ihrer Meinung hat das Kulturhistorische Seminar eine nachhaltige Entwicklung genommen und verzeichnet einen zunehmenden Erfolg. Eine mögliche thematische Weiterentwicklung könnte die Diversität in den Sichtweisen auf das Kulturerbe und Kollektiverinnerung unter den durch die Migration stark verstreuten Russlanddeutschen in den unterschiedlichen Generationen werden.
Die Teilnehmer des Seminars waren sich einig, dass die akademische Gemeinschaft der interdisziplinären Forschung zur Bewahrung der kulturellen und historischen Erinnerung der Russlanddeutschen Aufmerksamkeit schenken sollte.